Lentas - ein mystischer Ort

Kreta ist mit 8331 qm die größte griechische Insel. Umgeben von drei mächtigen Kontinenten - Europa, Afrika und Asien - geriet Kreta über die Jahrhunderte immer wieder in das Blickfeld der großen Politik mit ihren verschiedenen Machtkonstellationen. Durch seine strategisch günstige Lage und als fünft-größte Insel des Mittelmeeres wurde Kreta regelmäßig von fremden Machthabern erobert, und seine Einwohner mussten sich immer wieder fremden Herrschaften beugen.

Die Historie Kretas zu verfolgen, gestaltet sich anhand der Aufzeichnungen der Geschichtsschreiber einfach - Zeugnisse von Lentas sind dagegen wenig vorhanden. Nur wenige Autoren der Antike erwähnen den Ort.

Die ältesten Spuren von Siedlungsresten auf dem Löwen-Berg finden sich aus der Jungsteinzeit. Aufschlussreichere Funde liegen aus der minoischen Epoche vor: In Lentas wurden Ruinen einer frühminoischen Ansiedlung mit Kuppelgräbern gefunden. In den Rundgräbern und in einem rechteckigen Raum wurde Keramik freigelegt, wie bspw. gegenständliche Plastiken (Tiere, Früchte, Schiffe usw.), die von minoischen Handwerkern stammen und von einer großen künstlerischen Phantasie und Kreativität zeugen. Ebenso fand man einen zweiteiligen Keramiktopf mit kultischen Stiersymbolen verziert. Zu den Funden gehören weiter Kykladen-Idole, Steingefäße, Schmuckstücke, ein ägyptischer Skarabäus und Speerspitzen aus Bronze. Diese Funde belegen, dass die Minoer auf Kreta eine Hochkultur schufen und über ihren Hafen Handelsbeziehungen zum gesamten Mittelmeerraum aufbauten. Die Gegenstände finden sich heute im Archäologischen Museum in Heraklion.

Ca. 1500 v. Chr. Kam es zu einem Vulkanausbruch auf Santorini, darauf folgten mehrere Erdbeben und Flutwellen, die auf ganz Kreta Gebäude und Paläste zerstörten. In den darauf folgenden Jahren verloren die Kreter die Seeherrschaft an die Phönizer. Auch wird vermutet, dass Kreta unter mykenische Herrschaft geriet (Ausgrabungen in Gorty und Festos deuten darauf hin).

Während dieser Zeit ist aus der Vergangenheit des Ortes Lentas nichts erhalten geblieben. Doch der heutige Name Lentas findet seinen Ursprung im phönizischen Leben - Lebena, was "weiß" bedeutet und die Farbe des Vorgebirges beschreibt, an dem die Siedlung lag. Belege von Resten einer phönizischen Siedlung sind jedoch nicht vorhanden. Im Altertum entstand dann daraus wahrscheinlich der griechische Name Leon (auch Levin).

Die Minoer zogen sich in den Ostteil Kretas zurück - bis die Dorer die Insel schließlich eroberten. Durch die Dorer entstanden zahlreiche Stadtstaaten, die die Handelsbeziehungen der Insel weiter ausbauten. Mit der Gründung eines Heilzentrums, das Asklepios-Heiligtum im 4. Jhd v. Chr. wurde Lentas (Leion-Levin-Lebena) über die Grenzen von Kreta berühmt. Das Heiligtum wurde als ein Ableger des mächtigen Zentralheiligtums auf Peloponnes errichtet. Neben einem Tempel mit Statuen des Gottes und seiner Tochter Hygieia befand sich auch ein Schatzhaus mit einem unterirdischen Raum, in dem die Gaben für den Gott gesichert wurden. Ein prächtiges Fußbodenmosaik, das ein Seepferdchen darstellt, schmückt dieses Gebäudeteil und ist erhalten geblieben. Das Bauwerk war unterteilt in mehrere Säulenhallen (bspw. eine für den Heilschlaf), Torbögen und eine große Marmortreppe. Eine mit einem Nymphaion überbaute Quelle leitete das Wasser durch eine Leitung aus Tonröhren in die Badebassins. Angrenzend an den heiligen Bezirk waren sowohl die Kranken mit ihren Begleitern in Herbergen und Gästehäuser als auch die Priester in eigenen Wohnungen untergebracht.

Besucher aus ganz Griechenland und Nordafrika sollen damals in die prächtig ausgestatteten Thermen mit ihrem heilkräftigen Wasser gekommen sein. Die berühmten Thermen und das Entstehen eines Hafens verhalfen dem Ort sicherlich zu Wohlstand. Der damalige Hafen gehörte jedoch zu der landeinwärts gelegenen Metropole Gortys, die mit Unterstützung der Stadt Knossos die Hafensiedlung Lentas im Jahre 219 v. Chr. in Besitz genommen hat. Gortys entwickelte sich durch Eroberungen in der gesamten Messara-Ebene zu einem bedeutenden Machtzentrum mit Handelsbeziehungen zu Ägypten und Syrien. Eine Unabhängigkeit schien Lentas während dieser bedeutenden Zeit nicht zu erlangen, da nicht bekannt ist, das der Ort eine eigene Münzprägung unterhalten hat.

Das Asklepios-Heiligtum ist während seiner Geschichte mehrmals umgebaut und verändert worden, so dass die ursprüngliche griechische Architektur heute kaum noch erhalten ist. Vor allem das folgenschwere Erbeben 46 v. Chr. wird ihm beträchtlichen Schaden zugefügt haben.

Rom eroberte schließlich in einem Feldzug 67 v. Chr. Kreta. Die Bewohner von Gortys verbündeten sich mit den neuen Machthabern und konnten so ihre Stadt vor der Zerstörung retten. Die Römer machten Gortys zur Hauptstadt Kretas, bauten diese zu einer prächtigen Stadt auf und übertrugen die Verwaltung der Provinz "Creta et Cyrenaica" an Gorty. Lentas war römisch geworden.

Auch die Römer besuchten das Asklepios-Heiligtum noch häufig und passten es im 3. und 4. Jhd der römischen Architektur an, indem sie Kaiserthermen hinzufügten.

Im 4. und 5. Jhd setzte sich schließlich das Christentum immer mehr durch, womit der Asklepios-Kult an Bedeutung verlor. Das Heiligtum wurde als "heidnische Kultstätte" zerstört und als Steinbruch benutzt. Neben dem ehemals heiligen Bezirk wurde eine frühchristliche Basilika errichtet, für deren Bau hauptsächlich antike Bauteile der Tempel-Anlage verwendet wurden. Man kann noch heute die eingebauten marmornen Säulenteile in der jetzigen Kirche wiederfinden.

Mit dem Niedergang des Asklepios-Heiligtums verlor der Ort Lentas (bzw. Lebena-Leon-Levin) wieder an Bedeutung. Zahlreiche Eroberer der Insel - Byzantiner, Araber, Venezianer, Türken und zwischendurch auch Seeräuber - wechselten sich ab. Zeugnisse für Lentas aus dieser Zeit sind nicht bekannt. Doch da auf fast allen geografischen Karten des 16. und 17. Jhd. der Ort als Hafen (P. Leon) geführt ist, darf davon ausgegangen werden, dass Lentas zu keiner Zeit unbewohnt war. 

In der Mitte des 19. Jhd. begangen Archäologen mit ersten Ausgrabungen, die systematisch weitergeführt worden sind und heute noch antike Funde freilegen. Ein breiter Streifen rund um den Ort ist als archäologisches Gebiet geschützt und verhindert bis heute eine expandierende Bebauung des idyllischen Fischerdorfes.